Zum Start der rot-roten Landesregierung
Viel hat sie nicht, woran sie sich erfreuen kann, die rot-rote Landesregierung in Potsdam. Und wenn eine Zeitung dieser Tage schrieb, dass nun, nach 100 Tagen Amtszeit, die „Schonfrist vorbei“ sei, dann ist das einfach nur ein Witz. Matthias Platzeck und seine Ministerriege wurden von der ersten Sekunde an nicht geschont, sondern – im Gegenteil - heftig attackiert.
Wahlergebnis zurĂĽckerobert
So ist das aktuelle Umfrageergebnis dann doch Balsam auf der geschundenen linken Seele. Die SPD erreicht 31 Prozent Zustimmung, die Linke 27 Prozent. Beide stellen ihr Wahlergebnis – so gesehen – wieder ein. Die CDU hatte zwischenzeitlich auf 25 Prozent zugelegt und verliert aktuelle 3 Punkte, die FDP fällt um einen Prozentpunkt auf 6 Prozent, die Grünen schnellen auf 8 Prozent nach oben.
Umfragen sind was sie sind
Nun sollte man sich dies zur Gewohnheit machen: Wer auf Umfrageergebnisse nichts gibt, wenn sie für ihn schlecht ausfallen, der sollte auch dann nichts auf sie geben, wenn sie besser oder sogar gut ausfallen. Abgesehen davon, dass niemand die Gelegenheit bekommt, mitzuteilen, dass er keiner der im Angebot befindlichen Parteien noch vertraut – aber solche Momentaufnahmen sagen auch sonst in der Tat nicht allzu viel. Immerhin scheint die wieder gewachsene Zustimmung für die beiden linken Regierungsparteien darauf hinzudeuten, dass die 100-tägige Kampagnen, die gegen sie geführt worden ist, bei den Brandenburgern in der Substanz wenig gefruchtet haben.
Schmähkritik ist Konvention
Denn die Schmähkritik der Medien ist inzwischen eine Art Konvention in Brandenburg, sei scheint sich allmählich von selbst zu verstehen. Gerade zu ihrem 100-tägigen Amtsantritt wurde die Regierung erneut und umfassend vorgeführt: „Start verpatzt“, „nicht zufrieden mit Rot-Rot“, „Fehlstart“ „100 Tage Tiefschläge“, “Setzen, sechs“, „Glanzloser Start“.
Angriffe von rechts zunächst gescheitert
Der Plan von Platzecks Gegnern sah vor, die Regierung über das Stasi-Thema sturmreif zu schießen und dann – auf welchen Wege auch immer – die Linken wieder aus der Regierung zu treiben. Das ist – zunächst jedenfalls - misslungen, als Parteien stehen SPD und Linke wieder recht gut da. Natürlich hat eine Mehrheit der Befragten angegeben, dass sie Stasi-Angehörige in parlamentarischen Vertretungen oder in der Regierung nicht wünscht. (Was soll man auf diese Holzschnitt-Frage auch antworten?) Interessant wäre in diesem Zusammenhang einmal zu erfahren, ob im Falle von ehemaligen BND-, Verfassungsschutz- oder CIA-Zuträgern nicht das gleiche Umfrage-Bild entstehen würde. Und die überwältigende Zustimmung, die Matthias Platzeck auch bei der Umfrage für seinen Kurs der Versöhnung mit einstigen DDR-Systemträgern erfährt, die steht in erstaunlichem Widerspruch zur überwältigenden Ablehnung, die ihm aus dem deutschen Feuilleton dafür entgegenschlug.
GrĂĽne sammeln Punkte
Sowohl CDU also auch FDP als Träger der zum Teil maßlosen Angriffe haben politisch nicht profitiert, wohl aber die Grünen, die – insgesamt gesehen – eine ausgewogene Haltung bezogen. Dies ist offenbar in der Bevölkerung gesehen und honoriert worden.
Miese gemacht in der Krise
Der rot-roten Landesregierung vorzuwerfen, sie habe zu wenig Erfolge, hieße, ihr die Krise vorwerfen. Sie ist nicht in der Lage, mehr Geld verteilen zu können. Sie ist stattdessen in der wenig beneidenswerten Situation, eine bislang beispiellose Rezession und riesige Einnahmeverluste verwalten zu müssen. So gesehen sind viele Wahlkampf-Erwägungen in der Tat gegenstandslos, und eine völlig neue Lage – neu in ihrer Kompliziertheit – erfordert neue politische Antworten.
Atemberaubende Schuldenaufnahme auch hier
An wichtigen sozialpolitischen, arbeitsmarktpolitischen oder auch bildungspolitischen Zielen will die Koalition festhalten. Schüler-Bafög, öffentlich geförderte Arbeitstellen, Neueinstellung von Lehrer – bei all dem soll es bleiben. Und darauf ist dann auch mindestens ein Teil der Schuldenaufnahme von 650 Millionen Euro zurückzuführen, die Brandenburgs Gesamtverschuldung auf über 20 Milliarden Euro treiben wird.
Gespart wird beim StraĂźenbau
Gespart wir laut Finanzminister Helmuth Markov (Linke) auch – beispielsweise beim Straßenbau oder beim Stadtumbau. Sicher, vielleicht muss nun nicht noch eine weitere Ortsumgehung hinzukommen, die zur Verödung der Innenstädte beiträgt und noch mehr grüne Wiese „frist“. Für die Handwerker, die kleinen Betriebe, die bislang von öffentlichen Aufträgen profitierten, ist das natürlich keine gute Nachricht. Allerdings ist – mit Blick auf die allgemeine Lage – die Zeit der guten Nachrichten allgemein fürs erste vorbei. Schließlich ist nicht nur die brandenburgische Landesregierung in schwierigem Fahrwasser, es sind sämtliche Landesregierungen Deutschlands. Das Bild, das die CDU-FDP-Bundesregierung bietet, trägt ebenfalls dazu bei, eher Ratlosigkeit im politischen Oberstübchen nahezulegen.
Sagt einfach, wie es ist
Bertolt Brecht hat einmal gesagt, wenn es ganz schlecht aussieht, dann soll man sagen wie es ist. So muss sich die Landesregierung Brandenburgs natürlich an politischen Ergebnissen messen lassen, aber nicht an den zum Teil albernen und weltfremden Ansprüchen, die ihre Gegner erheben. Wirklich einstellen muss sie sich auf den Marsch durch völlig unbekanntes Gelände: Wie gelingt es, einen Wohlstands-Rückbau, der absehbar auf Deutschland und somit auch auf Brandenburg wartet, auf Dauer so zu managen, dass der soziale Frieden erhalten bleibt? Nicht weniger als das ist die Frage.
GlĂĽcksverspechen kein Tagesthema
Die rot-rote Landesregierung steht nicht vor der Überlegung, wie sie möglichst viele Menschen froh und glücklich machen kann. Sie steht vielmehr vor der Frage, wie sie möglichst wenige Menschen unglücklich machen kann. So bescheiden muss man heute sein. Wenn aber weniger zum verteilen da ist, wird der Kampf um die Wurst härter. Die einen haben dabei gute Karten, die anderen sehr schlechte. Der Regierung kommt in den sich abzeichnenden Verteilungskämpfen hier eine ganz entscheidende Rolle zu. Messen lassen wird sie sich daran, ob sie auf das erprobte Lamentieren wohl situierter Schichten hereinfällt, oder ob sie im Sinne der sozialen Gerechtigkeit wirksame Schritte einleitet. Lobbygruppen, zu denen vielleicht auch inzwischen Gewerkschaften gehören, werden ihr die Bude einrennen. Wird es der rot-roten Regierung bei diesem Ansturm gelingen, an diejenige wachsende Gruppen in der Gesellschaft zu denken, die schweigen müssen, weil sie eine solche Vertretung nicht besitzen?
H. Franz
Hundert Tage in kaltem Wind